Generalbundesanwalt: Landesverrat-Ermittlungen gegen Netzpolitik.org eingestellt

Andreas Frischholz
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Generalbundesanwalt: Landesverrat-Ermittlungen gegen Netzpolitik.org eingestellt
Bild: Markus Winkler | CC BY 2.0

Die Generalbundesanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen Netzpolitik.org wegen Landesverrats nun endgültig eingestellt. Diese Entscheidung gilt allerdings nur für die Journalisten des Online-Portals. Gegen die Quellen wird nach wie vor ermittelt.

So heißt es in der offiziellen Mitteilung der Behörde, dass der Generalbundesanwalt nun die Einschätzung des Justizministeriums teilt. Das bedeutet: Bei den veröffentlichten Dokumenten handelt es sich nicht um Staatsgeheimnisse, die eine Anklage wegen Landesverrats rechtfertigen. Netzpolitik.org hatte im Februar und April über interne Budget-Pläne des Verfassungsschutzes berichtet. Diese belegen, dass der Geheimdienst die Internet-Überwachung ausbauen will, indem etwa soziale Netzwerke verstärkt ausgeforscht werden. Einen Teil der als vertraulich eingestuften Dokumente wurden direkt auf der Webseite veröffentlicht.

Die Ermittlungen gegen die Quellen von Netzpolitik.org laufen aber weiter. Laut der Bundesanwaltschaft bestehe nach wie vor der Tatverdacht „gegen bislang unbekannte Berufsgeheimnisträger“, weil diese durch die Weitergabe der geheimen Dokumente das Dienstgeheimnis verletzt haben. Dieses Verfahren werde nun an die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft abgegeben.

Die Suche nach dem Whistleblower wird also weitergehen. Und unter Verdacht steht offenbar das neunköpfige Vertrauensgremium des Bundestags, wie der Spiegel am Wochenende berichtet hatte. In den beiden Anzeigen des Verfassungsschutzes, für die letztlich der Präsident Hans-Georg Maaßen verantwortlich ist, werden nicht nur die Netzpolitik.org-Journalisten Markus Beckedahl und Andre Meister erwähnt, sondern explizit auch das geheim tagende Gremium. Denn dieses hatte sich in einer Sitzung mit den Plänen des Verfassungsschutzes befasst, die später von Netzpolitik.org publiziert wurden.

Zuletzt hatte Maaßen zwar erklärt, dass die Anzeige vom März und April nur gegen Unbekannt gestellt wurde. Doch das gelte laut Spiegel nur für den Betreff. Zudem werde ausgeklammert, dass nicht nur das Bundestagsgremium, sondern auch zahlreiche Mitarbeiter innerhalb des Verfassungsschutzes über den geplanten Ausbau der Internet-Überwachung informiert waren.

Netzpolitik.org geht diese Entscheidung nicht weit genug

In einer ersten Reaktion begrüßt Markus Beckedahl, dass die Ermittlungen eingestellt werden – dieser Schritt war ohnehin „längst überfällig“. Dennoch reiche das nicht aus. „Wir wollen konkret wissen, ob wir im Rahmen der fast dreimonatigen Ermittlungen Opfer von Überwachungsmaßnahmen geworden sind“, so Beckedahl. Nachdem das Landesverrat-Verfahren Ende Juli publik wurde, hatte der mittlerweile entlassene Generalbundesanwalt Harald Range zwar erklärt, dass die Ermittlungen vorerst ruhen. Doch im Kern bedeutet diese Aussage erst einmal nicht allzu viel, da die Strafprozessordnung keine „ruhenden“ Ermittlungen kennt. Daher befürchten die Netzpolitik.org-Journalisten, dass man womöglich über Monate hinweg vom Bundeskriminalamt (BKD) überwacht wurde. Zumal die Behörde bei Ermittlungen wegen Landesverrats auf praktisch alle Instrumente zugreifen kann – also neben der Überwachung von Telefon- und Internetanschlüssen ist etwa auch die Observation von Verdächtigen möglich. Ob die Netzpolitik.org-Journalisten von solchen Maßnahmen betroffen waren, konnte zumindest ein Sprecher des Innenministeriums nicht ausschließen.

Ohnehin bestehen noch zahlreiche Fragen, welche Rolle das Innenministerium samt dem Minister Thomas de Maizière in dieser Affäre gespielt hat. Denn ein Bericht der Tagesschau aus der letzten Woche legt nahe, dass man innerhalb des Innenministeriums – im Gegensatz zu früheren Aussagen – bereits frühzeitig wusste, dass die Anzeige von Verfassungsschutz-Präsident Maaßen auch auf Journalisten abzielte. Im Kern geht es also um den Vorwurf, dass de Maizière die Ermittlungen wegen Landesverrats nicht frühzeitig unterbunden hat. Das Innenministerium wiegelt allerdings ab: Innerhalb des Hauses war zwar bekannt, dass der Verfassungsschutz auch gegen die Netzpolitik.org-Journalisten Markus Beckedahl und Andre Meister ermitteln will. Doch der Minister und die Staatssekretäre hätten davon keine genauen Kenntnisse gehabt.

Netzpolitik.org reicht diese Erklärung nicht aus. „Wir wollen Klarheit darüber, wer was wann in der Bundesregierung davon wusste“, so Beckedahl. Zudem fordert er einen besseren Whistleblower-Schutz, da die Ermittlungen gegen die Quelle von Netzpolitik.org immer noch andauern – selbst wenn der Vorwurf nicht mehr Landesverrat lautet, sondern nur noch das Verletzten von Dienstgeheimnissen. Denn bereits in den letzten Wochen wurde mehrfach kritisiert, dass es sich bei solchen Verfahren in erster Linie um Einschüchterungsversuche handelt, um weitere Whistleblower abzuschrecken.

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